Grenzen / Horizonte

Grenzen – Der Atem Gottes

Auf Pellworm, der kleinen nordfriesischen Insel, habe ich von einem Schicksal erfahren, das mich sehr berührte und gleichzeitig faszinierte:

Eine Frau geht in tiefer Depression weit ins Watt hinaus, um sich in der wiederkehrenden Flut zu ertränken. Ich begleite ihren Gang immer wieder in Gedanken, aufs Wattenmeer hinausschauend, wie sie lebens- und tablettenmüde dem Horizont entgegenwandert.

Ich habe ein Aquarell gemalt in vielen Blaulasuren. Ein Blau der Träume und der leisen Trauer, dass Träume nicht ganz realisierbar sind. Aber Träume müssen nicht real werden. Viele Schichten blauer Lasuren bedecken unsere Gegenwart, wie sie auch mein Leben bedecken, meinen Horizont. Ich erlebe diesen Grenzbereich als eine Zone, die mir immer wichtiger wird. Aber was ist Horizont? Eine Grenze ! Trennlinie zwischen Oben und Unten, Vertikalem und Horizontalem, Wasser und Wolken, Land und Luft. Heißt das nicht auch: Himmel und Erde? Und dann auch: Licht und Dunkel – Leben und Tod?

Die immer faszinierende Erfahrung an der See, ob an der vertrauten Ostsee, der Nordsee oder dem Mittelmeer, jedoch am intensivsten für mich am Wattenmeer, ist das Verschwinden der Grenze, die bei Vortagslicht noch scharf gezogen schien und doch nur ein Tonintervall war, das im Ungewissen verschwebte. Diese Ganze löst bei mir immer ein Gefühl der Vibration aus. Vielleicht höre ich den Horizont, wenn ich ihn nicht sehen kann. So liegt es nahe, zu denken, dass diese Grenze, als eine Grenze zwischen Leben und Tod, uns immerfort begleitet, mittönt und doch als Grenze überwunden werden muss.

Aber was heißt überwinden? Von einem zum anderen gehen? Oder muss ich an ihr verharren, um mit ihr zu leben, dass sie, wie das Aus- und Einatmen zueinander gehörend, gegenwärtig ist? Irgendwann geschieht das letzte Ausatmen. Dann ist das Sein auf der einen Seite erloschen. An eine andere Seite haben die Menschen immer geglaubt. Ein ganz kleiner Mund öffnet sich; ein älterer, alter, ganz alter schließt sich nicht mehr.

In der islamischen Kunst gibt es ornamentale Zeichen für Einatmen und Ausatmen. Werden die Zeichen mit einander verflochten, heißt das daraus entstandene Zeichen "der Atem Gottes". - Wo wir nicht wissen, schaffen wir Bilder.



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